Der Rehabilitationsbedarf bei Patientinnen und Patienten ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. In der Ärzteausbildung ist das Thema aber bislang unterrepräsentiert. Das wollen Prof. Jana Jünger (Universität Heidelberg) und Dr. Swantje Wienand (Klinikum Links der Weser/Rehazentrum Bremen) ändern. In einer Machbarkeitsstudie  zu einer Implementierung von Rehabiliationsmedizin im praktischen Jahr mit der Reha-Modulwoche (MS ReMo) haben sie in Bremen nun eine bundesweites Pilotmodell geschaffen, mit dem PJ-Studierende gezielt und in Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen für die Rehamedizin ausgebildet werden sollen.

Frau Prof. Jünger, Frau Dr. Wienand, warum sollte das Thema Rehabilitation aus Ihrer Sicht mehr Raum im Medizinstudium einnehmen?
Prof. Jana Jünger:
Wenn wir bedenken, dass die medizinische Ausbildung die angehenden Ärztinnen und Ärzte auf das Berufsleben vorbereiten soll, ist es ganz wichtig, dass sie das lernen, was sie später brauchen. Und wir wissen, dass der Rehabilitationsbedarf enorm zunimmt, nicht nur durch den demografischen Wandel. Der Bedarf ist in den letzten Jahren um über 10% Prozent gestiegen. Verschiedene Studienzeigen, dass dieses Thema im Studium fast nicht abgebildet ist. Und wenn, dann eigentlich nur durch Vorlesungen, die Vermittlung und das Erleben des hohen Stellenwerts von guter Rehabiliationsmedizin fehlt. Dr. Swantje Wienand: Es geht um ein stärkeres Verständnis dafür, dass Medizin nicht im Akutbereich aufhört. Ein Beispiel:  Als Chirurg kann ich zwar akut das Leben des Patienten retten, aber die Lebensqualität retten die Kolleginnen und Kollegen dann später in der rehabilitativen Medizin. Das wollen wir vermitteln.

Wie gehen Sie das an?
Dr. Swantje Wienand:
Wir sind schon mittendrin. Mit der Reha-Modulwoche haben wir hier im Rehazentrum Bremen bereits viele wichtige Erfahrungen gesammelt. Die Modulwoche ist Bestandteil unseres Angebots im PJ-Tertial, so dass die Medizinstudierenden bei uns in ihrem praktischen Jahr für das Thema direkt in der Versorgung von Patientinnen und Patienten sensibilisiert werden.
Prof. Jana Jünger:  Wir wollen zukünftigen Ärztinnen und Ärzten erfahrbar machen, was gute Rehabilitation bedeutet und ihre Rehabilitationskompetenz dadurch steigern, dass die Studierenden in Behandlungsprozesse von Patienten eingebunden sind und direkt unter Supervision auch eigene Aufgaben übernehmen. Sie werden geschult, den Rehabedarf bei ihren Patienten später erkennen und dann auch die richtigen Maßnahmen einleiten zu können. Gleichzeitig ist es auch so, dass die Rehabilitationsmedizin ein ideales Terrain für die Studierenden ist, um interprofessionelle Gesundheitsversorgung zu erleben.

So wie beim BIPSTA-Projekt (Bremer Interprofessionelle Ausbildungsstation), in dem Pflegeauszubildende und Medizinstudierende, zusammen auf einer Station arbeiten?
Dr. Swantje Wienand: Die Modulwoche geht sogar noch ein Stück weiter. Wir haben hier noch viel mehr Berufsgruppen, die im Rahmen von Rehamedizin interagieren. Ärztinnen und Ärzte der verschiedenen Fachrichtungen, Phyisotherapeutinnen, Ergothereupten, Ernährungsmediziner, Sozialarbeiter, Sozialmediziner, Psychologen, IT und viele mehr. Da kann man dann wunderbar lernen, dass es heute ein Team braucht, um den Patienten optimal zu versorgen – und auch erleben, wie viel Spaß das macht.
Prof. Jana Jünger: Neben BIPSTA – wo insbesondere die Zusammenarbeit und ein gegenseitiges Verständnis zwischen Pflege und Medizin gefördert wird – ist Rehamedizin ein weiteres Setting, in dem Medizinstudierende spezifische Formen der interprofessionellen Zusammenarbeit z.B. eine Bewegungsanamnese und -untersuchung mit den Physiotherapeuten zu machen und dann im interprofessionellen Teambesprechung zwischen Ärzten, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten etc. einen konkreten Behandlungsplan zu erstellen. Die Studierenden können dadurch direkt erleben, dass die Versorgung mit der Akutsituation nicht aufhört, sondern oft die Reha entscheidend ist, um Patienten wieder eine gute Teilhabe am Leben zu ermöglichen.

Macht das Interprofessionelle aus Ihrer Sicht die Gesundheitsberufe attraktiver?
Dr. Svantje Wienand:
Unbedingt. Nur so kann Medizin gut funktionieren – und auch dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Nämlich in dem wir überlegen: Wie arbeiten wir besser zusammen? Und die Antwort ist ganz klar: interprofessionell.

Wie geht es mit dem Projekt Machbarkeitsstudie „ReMo“ nun weiter?
Dr. Swantje Wienand:
Wir haben jetzt ein richtig gutes Gerüst aufgebaut, so dass es auch andere Lehr-Krankenhäuser in ihr PJ-Programm einbauen können. Im ersten Schritt erst einmal Krankenhäuser, die einen ähnlich starken Reha-Bezug haben wie wir hier am Klinikum Links der Weser und dem Rehazentrum Bremen. Aber wir wollen es so weiterentwickeln, dass es auch ein guter Baukasten für allgemeiner aufgestellte Kliniken wird.
Prof. Jana Jünger: Mit unserem Transfersymposium haben wir hier in Bremen nun wichtige Ergebnisse vorgestellt. Und wir haben darüber hinaus bereits viel Interesse bei Medizin-Fakultäten und Rehaeinrichtungen geweckt, sich an dem Projekt zu beteiligen und Rehabiliationsmedizin stärker im Studium zu verankern.

Prof. Jana Jünger ist Leiterin des Instituts für Kommunikations- und Prüfungsforschung in Heidelberg und gehört zur Studiengangsleitung Master of Medical Education der Uni Heidelberg. Dr. Swantje Wienand ist geschäftsführende Oberärztin in der Allgemein- und Viszeralchirurgie im Klinikum Links der Weser und Prokuristin am Rehazentrum Bremen. Das interprofessionelle Arbeiten ist für beide Frauen seit vielen Jahren ein Herzensprojekt. Nach der Schaffung Interprofessioneller Ausbildungsstationen, auf denen Pflegeschüler und Medizinstudierende gemeinsam Erfahrungen sammeln, nehmen Sie mit der „Machbarkeitsstudie Reha-Modulwoche“ nun die im Medizinstudium bislang unterrepräsentierte Rehamedizin in den Fokus des interprofessionellen Arbeitens.